Atommüll-Bundesamt trickst bei Standortsuche Betroffene aus

• Entscheidende Phase bei der Suche nach einem tiefengeologischen Lager für hochradioaktiven Atommüll wird überschattet von massiven Einschränkungen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung
BI Lüchow-Danneberg geht gegen behördlich geplante Großveranstaltung zur Endlagersuche im Herbst vor

Bei der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung der Öffentlichkeit am Suchverfahren für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager in Deutschland versucht das zuständige Bundesamt alles, um die Partizipation zu erschweren.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hatte für Ende September 2020 die Veröffentlichung des „Zwischenberichts Teilgebiete“ angekündigt, in dem sie die Gebiete im Bundesgebiet benennen wird, die aufgrund ihrer geologischen Situation für die weitere Suche günstig erscheinen. Mit diesem Bericht wird dann also erstmals eine offizielle Landkarte der Suchräume vorliegen.

Laut Standortauswahlgesetz soll dieser Bericht auf einer Teilgebiete-Konferenz erörtert werden, die innerhalb von sechs Monaten dreimal tagt und an der sich sowohl Bürger*innen als auch Vertreter*innen der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften sowie Personen aus Verbänden und aus der Wissenschaft beteiligen können.

Ursprünglich hatte das Atommüll-Bundesamt (BASE) geplant, die erste Konferenz im Januar 2021 abzuhalten. So wäre für alle Betroffenen die Möglichkeit gegeben, sich zwischen der Veröffentlichung des Berichtes und der ersten Konferenz in die komplizierte Materie einzuarbeiten, sich von unabhängigen Expertinnen und Experten beraten zu lassen und somit gut vorzubereiten.

Nun hat das Bundesamt überraschend festgelegt, dass die erste Teilgebiete-Konferenz bereits am 17. und 18. Oktober 2020 stattfinden soll.
Zudem soll der Zwischenbericht nicht mehr wie angekündigt Ende September veröffentlicht werden, sondern erst direkt auf der Konferenz.

Doch wie soll eine derartige Auftaktkonferenz, zu der das Bundesamt nach eigenen Angaben „Teilnehmerzahlen im hohen dreistelligen oder niedrigen vierstelligen Bereich“ erwartet, in Corona-Zeiten sicher und ohne Infektionsrisiko stattfinden?
Wie kann sichergestellt werden, dass bei dem seit Jahrzehnten hoch umstrittenen Thema wirklich alle Interessierten teilnehmen können und niemand aus Angst vor einer Infektion mit COVID-19 von der Teilnahme absieht?

Vorsorglich hat sich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) daher anwaltlich beraten lassen.
Ein Schreiben des Berliner Rechtsanwalts Dr. Philipp Schulte wurde heute (23. Juni) an die Umweltministerin Svenja Schultze adressiert (hier als pdf).

Im Ergebnis heißt es dort: „Namens meiner Mandantschaft fordere ich Sie auf, das BASE anzuweisen, die lt. Mitteilung vom 22.5.2020 für den 17. und 18.10.2020 in Kassel geplante erste Fachkonferenz Teilgebiete (§ 9 StandAG) angesichts der derzeitigen COVID-19 Pandemie um mindestens sechs Monate zu verschieben.“

Dieser Schritt ist aus Sicht der BI dringend geboten, um die gem. § 5 Standortauswahlgesetz (StandAG) vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung – Bürgerinnen und Bürger sind danach ausdrücklich als „Mitgestalter“ in das Verfahren zur Endlagersuche einzubeziehen – nicht bereits zu Beginn des Standortauswahlverfahrens zu unterlaufen.

BI-Sprecher Wolfgang Ehmke erklärt dazu: „In der aktuell vorherrschenden COVID-19 Pandemie ist eine gefahrlose, physische Teilnahme an der Fachkonferenz mit vielen Menschen unmöglich. Daher ist zu befürchten, dass Menschen, insbesondere Angehörige von Risikogruppen, wegen der akuten Ansteckungsgefahr, die gerade bei großen Zusammenkünften in geschlossenen Räumen besteht, von einer Teilnahme abgehalten werden. In der aktuell vorherrschenden Situation kann eine Fachkonferenz Teilgebiete im Oktober nicht dem gesetzlichen Zweck entsprechend durchgeführt werden.“

Laut Konzeptpapier des BASE sollen „die Räumlichkeiten so organisiert [sein], dass sie Teilnehmerzahlen im hohen dreistelligen oder niedrigen vierstelligen Bereich abdecken. Gleichzeitig werden die Teilnahme und die Beteiligung über digitale Formate ermöglicht und integraler Bestandteil der Fachkonferenz sein. Insgesamt sollen die Termine der Fachkonferenz inhaltlich aufeinander aufbauen.“

Sollte die Teilnehmerzahl vor Ort nun wegen der COVID-19 Pandemie beschränkt werden, verstößt dies gegen die Anforderung des StandAG. Der mögliche Verweis auf digitale Formate ist für eine tatsächliche Beteiligung der Öffentlichkeit in Form von Diskussion und Austausch völlig ungeeignet.

BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: „Am Bildschirm lässt sich vielleicht passiv eine Diskussion verfolgen, der aktive diskursive Austausch und Dialog mit anderen ist hierbei -gerade bei der zu erwartenden Teilnehmendenzahl- unmöglich. Wer aber Verantwortung übernehmen will, mitreden und mitbestimmen will, muss bei der Konferenz physisch anwesend sein.“

Die von dem StandAG angestrebte Beteiligung lasse sich daher überhaupt nur dann erreichen, wenn die Menschen ohne Angst vor Ansteckung mit COVID-19 zusammenkommen und sich an der Konferenz beteiligen können.

Hierzu Rechtsanwalt Schulte: „Bei der derzeit für Oktober geplanten Fachkonferenz ist eine sichere Teilnahme freilich nicht ansatzweise möglich. Der Hauptübertragungsweg des Virus sind Aerosole, die sich in geschlossenen Räumen längere Zeit in der Luft halten können (vgl. RKI Steckbrief mwN).“

Schließlich wird die Umweltministerin auch an ihre Fürsorgepflicht für die mit der Durchführung befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BASE und der bundeseigenen Firma BGE erinnert. Auch diese würden in dem Fall, dass sie dienstlich verpflichtet werden, eine solche Massenveranstaltung durchzuführen, einer unvertretbaren Gefährdung ausgesetzt.

BI-Sprecher Wolfgang Ehmke erklärt, wie das weitere Vorgehen aussehen müsste:
„Angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie halten wir daher eine Verschiebung der ersten Fachkonferenz für unausweichlich. Nach unserer Einschätzung könnte der gem. § 9 Abs. 1 StandAG mit Beginn der Fachkonferenz vorzulegende Zwischenbericht des Vorhabenträgers im Oktober zunächst ohne weitere Erörterung veröffentlicht werden. Die Öffentlichkeit kann diesen dann zur Kenntnis nehmen und sich auf die später durchzuführende Fachkonferenz vorbereiten. Die gem. § 9 Abs. 2 StandAG vorgesehene Erörterung im Rahmen der Fachkonferenz sollte zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Pandemie durch einen Impfstoff unter Kontrolle ist, nachgeholt werden.“

Und Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt ergänzt: „Das Atommüll-Bundesamt begründet die Zusammenlegung der Veröffentlichung des Zwischenberichts und der ersten Teilgebiete-Konferenz mit Chancengleichheit für die Betroffenen. Chancengleichheit wird also darüber hergestellt, dass niemand eine Chance hat.
Das Handeln der Behörde macht deutlich, dass sie nicht an tatsächlicher Partizipation interessiert ist, sondern nur mit möglichst wenig Aufwand einen Paragraphen aus dem Gesetz abhaken will. Teilgebiete-Konferenz: erledigt! Damit schürt sie allerdings neue Konflikte um den Atommüll, weil so kein Vertrauen entsteht.
Das Vorgehen der für strahlende Abfälle zuständigen staatlichen Akteure war in der Vergangenheit geprägt von Manipulation, Intransparenz und Skandalen, verbunden mit einem eklatanten Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Daran knüpft das Atommüll-Bundesamt jetzt leider nahtlos an.
Das Motto der aktuell laufenden millionenschweren Werbekampagne des Bundesamtes lautet, auf die Geschichte der Atomkraft und die Standortsuche bezogen: ‚Das letzte Kapitel schreiben wir gemeinsam‘.
Passender wäre gewesen:
‚Das letzte Kapitel schreiben wir mal wieder ohne Euch!‘“

(Mit Material von PM / PM)
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